Zugversuch: die zerstörende Materialprüfung

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Zugversuch, Zugprüfung oder Dehnungsmessung nennt der Werkstoffprüfer die Untersuchung von Materialien und Werkstoffen. Welchen Zugkräften hält der Werkstoff stand? Die Materialprüfung gehört zum täglichen Job im Prüflabor und ist Bestandteil des System zur Qualitätssicherung in vielen Industrieunternehmen.

Bei welcher Belastung reißt das Drahtseil?

Wer im Urlaub schon mal mit der Drahtseilbahn auf Berges Höhen gefahren ist, der kennt das mulmige Gefühl, das sich auf der Fahrt im Bauch breit macht, wenn die Kabine der Seilbahn in Windeseile luftige Höhen erklimmt. Die Drahtseile sind manchmal armdick, aber genügt das? Kann ein Ingenieur errechnen, welche Belastung das Drahtseil aushalten kann?

Kann er, der Herr Ingenieur. Doch grau ist alle Theorie und die Verantwortung für Menschenleben, die mit dem Einsatz zum Beispiel des Drahtseils auf der Seilbahn verbunden ist, legt nahe, die Berechnungen der Herren Ingenieure eventuell doch mit einem praktischen Test zu verifizieren. Der Zugversuch ist solch ein praktischer Test.

Zugversuch: Prüfmaschinen belasten Drahtseile mit mehreren 1000 kN

Den Zugversuch führt ein Hersteller von Drahtseilen im Prüflabor oder Festigkeitslabor durch. Dort stehen Prüfmaschinen bereit, die ein Drahtseil sehr hohen Nennlasten aussetzen können. Der Zugversuch wird dabei nicht nur prüfen, ob das Drahtseil die im erwarteten Einsatz auftretenden Kräfte aushalten kann.

Die Zugprüfung geht noch weiter. Im Regelfall wird das Drahtseil so lange belastet, bis dieses reißt. Daher wird diese Prüfung auch zerstörende Materialprüfung genannt. Die Zerstörung des getesteten Materials ist dabei gewollt.

Ein solcher Zugversuch wird in der Industrie regelmäßig als Maßnahme zur Qualitätssicherung durchgeführt. Damit diese vergleichbar sind, geben Normen die Rahmenbedingungen vor, wie beispielsweise die Dehngrenzen durch die ISO 6892-1.

Das geprüfte Material – das Drahtseil – dehnt sich beim Zugversuch aus mit zunehmender Nennlast aus. Der Grad der Längenänderung in Abhängigkeit von der anliegenden Nennlast wird von den Testsystemen der Prüfmaschinen gemessen und aufgezeichnet. So können die Messwertreihen später auf dem Computer untersucht werden.

Heißer Reißer: Zugversuch bei 850°C

Nicht immer ist die Umgebung einer solchen Messung so „wohltemperiert“ wie im Fall des Drahtseils. Wird das zu prüfende Werkstück zum Beispiel in einem Kraftwerk eingesetzt, können Temperaturen von 800°C und mehr auftreten. Dann kann das zu prüfende Werkstück auch nicht so einfach ein die Prüfmaschine eingespannt werden. In diesem Fall muss sich die Prüfmaschine und auch die Messtechnik der Arbeitsumgebung des Werkstücks anpassen.

Soll ein Versuch an hochelastischen oder berührungsempfindlichen Materialien durchgeführt werden, kommen spezielle optische Extensometer zum Einsatz um die Längenänderung der Prüflinge zu messen. Dabei nehmen Kameras den Zugversuch auf und die Messsoftware ermittelt später die Längenänderungen. Hierzu werden Messmarken am Prüfling angebracht, deren Positionsveränderung von der Software in eine Längenänderung oder Breitenänderung umgerechnet werden.

Zerstörende, mechanische Prüfverfahren

Die Prüfung hat viele Geschwister. Auch Biegen, Falten, Dauerschwingen und Schläge werden bei den zu testenden Bauteilen oder Werkstücken angewendet. Chemische und thermische Prüfverfahren
oder eben der eingangs erwähnte Zugversuch werden häufig für Bauteile angewendet. Darüber hinaus gibt es noch chemische und thermische Prüfverfahren wie etwa Gaschromatografie oder die Brennprobe.

Alle Tests werden als sogenannte Normproben ausgeführt. Für die Normproben sind sämtliche Abläufe und Maße vorgegeben. So lassen sich die Proben vergleichen, auch wenn Jahre und Tausende von Kilometern dazwischen liegen. Gegenstand der Untersuchung können nicht nur die Reißfestigkeit wie beim Zugversuch sein.

Auch Inhaltsstoffe, oder Härte oder bestimmte andere physikalische Eigenschaften können untersucht werden. Oftmals wird in Kauf genommen, das geprüfte Werkstück bei der Materialprüfung zu zerstören. So wird wie beim Drahtseil der spezifische Kennwert ermittelt, die Belastungsgrenze ermittelt, bei deren Überschreitung das Seil reißt.


Bildnachweis: © morguefile.com – imelenchon

Über den Autor

Hans-Jürgen Schwarzer leitet die Content-Marketing-Agentur schwarzer.de. Als Marketer, Unternehmer und Verleger in Personalunion wie auch als leidenschaftlicher Blogger gehört er zu den Hauptautoren von startup-report.de und industry-press.com. Innerhalb seiner breiten Palette an Themen liegen dem Mainzer Lokalpatrioten dabei „ausgefallene“ Ideen und technische Novitäten besonders am Herzen.

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